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Text von Manfred Papst, Bilder von Henry Schulz

«Thelonious Monk is my Hero»

Helge Schneider, 62, is a brilliant comedian and cabaret artist. Above all, however, he is a multi-instrumentalist who knows his way around all areas of jazz. In St. Moritz, he provides the closing act for the festival.

NZZ am Sonntag: Helge Schneider, you are both a comedian and a musician. When did you get into jazz?

Helge Schneider: Quite early. I was ten or eleven years old. My grandmother had given me a small portable radio. I listened to music under the duvet at night. I usually only got the English station on. It played a lot of Louis Armstrong, big band music, Glenn Miller and so on.

Why in hiding?

Back then, I shared a room with my father and we slept end to end. He wasn't allowed to be woken up under any circumstances.

‘WHEN I INVENT SOMETHING, I FORGET IT AGAIN AFTER TWO SECONDS. THAT'S WHY I TAKE NOTES.’

But you played the piano much earlier?

Yes, around the age of five. I then had lessons when I was six or seven. When I was seventeen, I even studied classical piano for two semesters. But then improvisation was more important to me. I couldn't do both. I also dropped out of school and started an apprenticeship as a draughtsman. I then had to choose between jazz and classical music.

In biographical texts about you, there is always talk of ‘Eduscho studies’. Is that just a legend?

No, that really existed. I spent several hours a day at Eduscho for a while, drinking coffee for ten or twenty pfennigs. It was a kind of tasting station. You were even allowed to smoke there. There were lots of old grandpas (Schneider says ‘Oppas’, of course) who had little money but all the time in the world, and I listened to them. They provided me with a basis for my stories.

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How did you become a studio musician?

Through a series of coincidences. I just knew a few other musicians and liked to try out new things. Apart from piano and cello, I didn't learn an instrument at school. But the piano is a good pre-school for other instruments. It teaches you to think in harmonic structures. You then have a different understanding when you play the saxophone or trumpet, guitar or marimba. For me, every instrument is a new adventure, a new world, and I don't find it difficult to acquire a certain skill on it.

You played with the famous trombonist Albert Mangelsdorff when you were very young.

This episode is mentioned everywhere, but also overrated. We weren't even in the same studio. Everyone recorded the relevant part in their own city.

Auf dem Saxofon pflegen Sie auch einen ganz unverwechselbaren Personalstil. Wie ist es zu dem gekommen?

I discovered the saxophone when I was 13 or 14 through the music of Roland Kirk, who didn't have the first name Rahsaan back then. I really liked him, both as a saxophonist and as a composer and multi-instrumentalist. He was an incredibly weird bird. My sister had a record of his with ‘Serenade for a Cuckoo’ on it, which I listened to all the time.

And how did you become a saxophonist yourself?

One day I discovered a wonderful alto saxophone in an antique music shop. It cost 110 Deutschmarks and I had to have it immediately.

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Wie würden Sie Ihren Stil umreissen?

Eigentlich sehe ich mich als Sänger. Auch die Soli, die ich auf meinen verschiedenen Instrumenten spiele, sind im Grunde gesungen. Es ist ja mehr als blosse Blödelei, wenn ich mich als «Singende Herrentorte» ansagen lasse. Es geht nicht nur um Technik. Ich mache zwar auch Ausflüge ins Abstrakte. Aber am glücklichsten bin ich, wenn ich – auf welchem Instrument auch immer – eine Melodie spiele, die mir einleuchtet. Das passiert ja alles innerhalb von Millisekunden.

Wie halten Sie es mit der Tradition?

Ich liebe sie. Aber bin nicht daran interessiert, etwas zu spielen, das andere mir vorgeben. Ich muss ins Freie hinaus. Wenn mir beim Improvisieren etwas gelingt, dann überrasche ich in erster Linie mich selbst. Aber man darf nicht zu viel über den magischen Moment nachdenken. Sonst ist der Augenblick des unbewussten, seligen Improvisierens sofort futsch.

Üben Sie noch im engeren Sinn des Wortes?

Manchmal schon. Komplexere Sachen wie «Lush Life» von Billy Strayhorn muss man sich erst einmal erarbeiten. Aber es gilt auch, Stücke in ihrer Einfachheit zu erschliessen. Wenn man älter wird, wird alles etwas einfacher. So geht es mir mit der Musik von Duke Ellington, die ja sehr komplex ist. Jetzt kommt er mir wie ein Bruder vor. Ich begreife ihn. Das hat freilich auch damit zu tun, dass ich mir ihn auch über YouTube dauernd anschauen kann.

"Ausser Klavier und Cello habe ich kein Instrument schulisch gelernt."

Wer zählt sonst noch zu Ihren Fixsternen?

Thelonious Monk ganz unbedingt. Manche Leute halten ihn für zu eigenwillig und eigensinnig. Aber genau das gefällt mir. Sein liebevoller Umgang mit den Harmonien. Seine verquere Menschlichkeit. Ich habe ihn leider nie kennengelernt, aber vermutlich haben wir einen ähnlichen Humor.

Helge Schneider Blödelkomiker? Nein. Genialer Musiker!

Helge Schneider wurde 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren. Als Komiker, Kabarettist, Regisseur, Autor und Musiker zählt er zu den vielseitigsten und originellsten Künstlern Deutschlands. Mit absurden Geschichten, Schlagerparodien, schrägen Shows und brillanten Konzerten eroberte er seine Fangemeinde. 1994 wurde er via «Wetten, dass ..?» einem Millionenpublikum bekannt. Er versteht es, Massen zu begeistern, ohne künstlerische Kompromisse zu machen. Dass der Unsinn zum Sinn gehört wie die Sauce zur Currywurst, muss man ihm nicht gross erklären. (pap.)

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Wie meinen Sie das?

Die Musik von Sonny Rollins ist gespickt mit Zitaten und Anspielungen aller Art. Bei Monk ist das nicht so. Sie bewegt sich in ihrer eigenen Welt. Trotzdem ist sie für meine Begriffe sehr witzig. Ob Monk seine Musik als komisch verstanden hat, weiss ich noch nicht einmal. Wir kennen ja Leute, über die man lachen kann, obwohl sie es selber sehr ernst meinen.

Fällt Ihnen da gerade ein Beispiel ein?

Einer meiner Onkel hatte nur einen Arm. Als eine Tante zu Grabe getragen wurde, setzte er sich mit seinem einen Arm den Chapeau Claque auf. Da konnte ich mich nicht mehr halten vor Lachen. Das sah so komisch aus! Thelonious Monk hat ja eher selten ein fröhliches Gesicht gemacht. Aber in seiner Musik ist eine ganz wunderbare Heiterkeit, die sich im Sperrigen verbirgt.

Sie sind ein begnadeter Improvisator, und Sie haben einmal gesagt, Sie würden nichts vorbereiten, damit auch nichts schiefgehen könne. Ist das wahr?

Ja und nein. Wenn ich etwas erfinde, habe ich das nach zwei Sekunden schon wieder vergessen. Deshalb mache ich mir manchmal Notizen. Es kommt aber eher selten vor.

Verbirgt sich hinter Ihrer scheinbaren Leichtigkeit harte Arbeit?

Von Natur aus bin ich ziemlich faul, obwohl ich ja viel unternehme. Ich habe hier zum Beispiel meine Tonbandmaschine seit einem halben Jahr auf «Go» stehen, und ich will immer wieder Aufnahmen machen, aber im letzten halben Jahr habe ich nicht mehr als fünf Minuten geschafft. Immer, wenn ich an dem Ding vorbeigehe, denke ich: Nein, jetzt gerade bitte nicht!

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Was haben Sie sich für Ihren Auftritt in Sankt Moritz, der den krönenden Abschluss des Festivals bilden soll, vorgenommen?

Ins Engadin komme ich mit meinem gegenwärtigen Trio. Rudi Olbrich spielt Kontrabass, Peter Thoms Schlagzeug. Es wird viel Musik geben, ich werde etliche Instrumente spielen, aber natürlich auch Geschichten erzählen. Die gehören ja auch zum Jazz.

Wie haben Sie das Festival 2017 in Erinnerung?

Sehr gut! Wenn das Publikum so nah an einem ist, entsteht eine ganz andere Atmosphäre, als wenn man weit weg auf der Bühne in einer Betonhalle steht. Jazz kommt aus den kleinen Klubs. Man hat auch nicht das Gefühl, zur Schau gestellt zu sein, sondern fühlt sich integriert. Ausserdem ist das Equipment da oben tadellos.

Wie sieht Ihr Alltag aus, wenn Sie nicht auf Tournee sind?

Ich rudere sehr gerne auf der Ruhr. Auf ein Auto verzichte ich schon lange. Ich fahre viel lieber Fahrrad. In meinem Wohnort Mülheim, wo ich geboren wurde und auch jetzt lebe, kennen mich viele Leute. Aber es ist ein unangestrengtes Einander-Kennen. Man grüsst sich, wechselt ein paar Worte. Die wissen: Ich bin einer von ihnen. Ich werde hier nicht wie ein Wundertier angestarrt wie etwa in Berlin.

erschienen in der NZZ am Sonntag vom 10. Juni 2018

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