Sie hat eine der schönsten Stimmen der Welt: Doch weil ihr jeglicher Rummel zuwider ist, tritt Madeleine Peyroux lieber in kleinen Klubs als in grossen Hallen auf. Sie singt Chansons, Jazz und Blues in unvergleichlicher, bewegender Art.

Von Bänz Friedli
14.6.17

Sollen wir uns auf Französisch unterhalten? «Fast lieber auf Englisch», sagt die perfekte Bilingue, «auch wenn ich Monsieur Macron lieber mag als Herrn Trump.» Just mit ihm hätte man sie verschonen wollen, doch jetzt bringt Madeleine Peyroux, die 43-jährige Sängerin, ihren Präsidenten gleich selber aufs Tapet. «Ich denke ja die ganze Zeit an nichts anderes! Ich bin besessen von der Politik», sagt sie. «Sässe ich nicht hier, würde ich mir daheim in New York den ganzen Tag nur Nachrichtensendungen anschauen. Es ist beängstigend, denn Trump ist ein Produkt Amerikas - wir haben ihn <gemacht>.»

Madeleine Peyroux zündet sich eine American Spirit an und leert einen Espresso in einem Schluck. Sie sei jeweils froh, ein Konzert zu geben. «Leider das Einzige, was ich kann. Ich wünschte, ich könnte mich gesellschaftlich besser engagieren.» - «Aber Frau Peyroux! Ihre Konzerte sind doch ein wunderbarer Beitrag!», entgegnet man. Sie nimmt das Kompliment fast ungläubig entgegen und sagt tonlos: «Oh, danke.»

Ungeschminkt sitzt sie da, in einer weiten Bluse, schwarzen Jeans, Sandalen. Aus einem nahen Park ertönt Frühlingsgezwitscher, fern heulen Sirenen. Erstaunlich, dass man ihr überhaupt gegenübersitzt. Madeleine Peyroux scheut jegliche Öffentlichkeit, gibt kaum je Interviews. Sie ist der unbekannte Weltstar. Gesegnet mit einer «Mona-Lisa-Stimme», wie die «New York Times» befand: geheimnisvoll, lieblich und dämonisch zugleich. Aber von Ruhm will sie nichts wissen.

Ich könnte mehr verdienen, ja. Aber entscheidend ist, was ich verlieren würde, strebte ich den grossen Ruhm an.

Blues in der Kirche 

Als das Plattenlabel Atlantic sie 1996 buchstäblich von der Strasse weg verpflichtete, lag eine Weltkarriere vor ihr. Der Erstling «Dreamland» erntete Aufmerksamkeit und Auszeichnungen, doch Peyroux mochte das Spiel nicht mitspielen und tauchte ab. Sie sei «rather infamous than famous», lieber berüchtigt als berühmt, scherzt sie. Von ihrem Privatleben ist nichts bekannt. Und dies in einer Zeit, da Sängerinnen wie Taylor Swift jede Regung auf Instagram herzeigen! «Bei mir hat es sich halt anders ergeben», sagt Peyroux. 

Dabei hat sie den Weg fernab jeglicher Publicity bewusst gewählt. Einmal musste sogar ihre eigene Plattenfirma sie von einem Detektiv suchen lassen. Bedeutet der Verzicht auf Glamour auch einen Verzicht auf Geld? «Ich könnte mehr verdienen, ja. Aber entscheidend ist, was ich verlieren würde, strebte ich den grossen Ruhm an.» Immer wieder kneift sie die grünen Augen zusammen und fixiert einen Punkt in der Ferne. Wenn sie dann spricht, tut sie es kurz und knapp: «Träte ich in grossen Arenen auf, wäre das nicht mehr ich.»

Das jüngste Album, «Secular Hymns», hat sie mit dem Gitarristen Jon Herington und dem Kontrabassisten Barak Mori in einer Kirche in Südengland aufgenommen. Grandios macht sie sich darauf Songs von Willie Dixon, Tom Waits, Sister Rosetta Tharpe und Townes Van Zandt zu eigen, und der Widerspruch, das sündig Weltliche in einen sakralen Raum zu tragen, ist gewollt. «Diese Lieder zu singen, hat etwas sehr Spirituelles für mich - auch wenn sie rein gar nichts mit Glauben und Religion zu tun haben.»

Im Konzert im intimen Rahmen singt sie Chansons, Jazz, Folk und Blues mit schierer Selbstverständlichkeit. In der Reduktion des Trios kommt jede Silbe zur Geltung, Peyroux' Stimme ist im selben Augenblick so rein und so verrucht, wie man es von keiner anderen gehört hat. Bald ist sie komödiantisch, bald todernst, oft ganz leise, und dann wird's im Klub mäuschenstill. «Silence» mache ihren Gesang aus, sagt sie, auf dessen Geheimnis angesprochen. «Ganz viel Stille. Und ein kleines bisschen Schmerz.» Aber war da nicht jede Menge Schmerz? 

Träte ich in grossen Arenen auf, wäre das nicht mehr ich.

Verrückte Kindheit 

Der Vater soff. Die Familie zog von Georgia nach Hollywood, weiter nach New York. Madeleine war dreizehn, als die Eltern sich scheiden liessen, die Mutter nahm sie mit nach Paris. In der Schule nahm sie Reissaus, indem sie aus einem Fenster im ersten Stock floh. Darauf das Ultimatum der Mutter: Wenn du nicht zur Schule gehst, musst du zurück in die USA zum trunksüchtigen Vater. Madeleine, keine fünfzehn Jahre alt, lebt fortan auf der Strasse, tingelt mit einem Ensemble, singt in Metrostationen und Spelunken. 

«Well . . . Es hätte schlimmer sein können», raunt sie. «Meine Kindheit war verrückt. Aber sie hat mich zur Musik geführt. Wenn ich als Kind mit meiner Mutter sang, war mein Vater kein Arschloch. Für die kurze Zeit eines Liedes war alles wunderbar. Und kaum war das Lied vorbei, schrie er: <Bring mir ein Bier!>» In?«River of Tears» singt sie über die Sucht des Vaters. «Er trank so hingebungsvoll, wie Mönche beten», heisst es darin. «Vater war nicht der <nette> Alkoholiker, er wurde depressiv und gewalttätig», erzählt sie. «Aber der Song soll zeigen, dass diejenigen, die sich im Alkohol ertränken, einen weichen Kern haben.» 

Auf der Bühne fesselt sie mit unvergleichlicher Stimme. Ihr Gesang mag nicht geschult sein, dafür ist er auch nicht verbildet. «Die Strasse war meine Schule. Ich war so lange unterwegs, dass ich mich nur noch auf Reisen daheim fühle», hat sie zuvor gesagt. Sie singt Randy Newmans «Guilty» und Leonard Cohens «Dance Me to the End of Love», wie man es schöner nicht tun kann. Zuletzt ein hingeworfenes «La vie en rose», und immer ist da diese beiläufige Innigkeit, stets spürt man das leise, stille Glück: Während ich singe, ist Vater kein Arschloch.

Fotos von Shervin Lainez