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Text von Manfred Papst, Bilder von Henry Schulz

Kernfusion von Swing und Techno

Zu den faszinierendsten Acts am Festival da Jazz zählt seit Jahren die Jazzrausch Bigband aus München. Höchste Zeit für ein Gespräch mit ihrem Gründer und Leiter, dem Posaunisten Roman Sladek. 

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Sind Sie damals auch noch an anderen Orten aufgetreten?

Neben dem Harry-Klein-Engagement waren wir noch mit einem Swing-Programm in einem nahen Indie-Rock-Club, der lag etwa zweihundert Meter weiter. Wir haben im Wechsel gespielt, die eine Woche da, die andere Woche dort. Dadurch wuchs unser Publikum ziemlich rasch. Nach ein, zwei Jahren haben wir dann begonnen, mit unseren Programmen auch ausserhalb von München aufzutreten, und in der Stadt selbst haben wir immer grössere Locations bespielt, etwa die Isar-Philharmonie, die Muffathalle oder zuletzt die Kleine Olympiahalle.

Wie sieht es heute aus?

Inzwischen spielen wir mehr auf Tournee als in München. Wir geben etwa 100 Konzerte pro Jahr. Für eine Bigband ist das sehr viel, zumal wir nicht in Tour-Blöcken unterwegs sind, sondern jede Woche ein-, zweimal auftreten. Mir ist es aber wichtig, dass die Mitglieder sich auch noch anderweitig engagieren, damit sie der Bigband immer wieder neue Impulse geben können und wir nicht betriebsblind werden.

Gab es in der Besetzung im Lauf der Jahre viele Wechsel?

Die Fluktuation ist überschaubar geblieben. Noch immer sind etliche Gründungsmitglieder dabei. Insgesamt ist die Band gewachsen. Gestartet sind wir mit 18 Leuten, jetzt sind wir bei 35. Jede Position ist doppelt besetzt, die Mitglieder rotieren koordiniert, so dass bei jedem Konzert eine etwas andere Besetzung spielt. Kontinuität ist wichtig, Abwechslung aber auch. Bei unserem System spielen immer noch alle mehrmals im Monat und bleiben deshalb gut in Schuss. 

Wie lange waren Sie im Technoclub Harry Klein?

Sieben Jahre. Dann musste er leider auch schliessen, weil dort nun ein Hotel hinkommt. Aber das Schicksal hat es gut mit uns gemeint: In München wird gerade das Bergson Kunstkraftwerk gebaut, unsere neue Residenz, wo ich auch Geschäftsführer und künstlerischer Leiter bin. Das ist ein grosses Kultur- und Veranstaltungszentrum mit einem Biergarten, einer ehemaligen Kesselhalle, die unter Denkmalschutz steht, verschiedenen Kleinkunstbühnen und einem hochmodernen Konzertsaal, der sich speziell für elektroakustisch verstärkte Musik eignet.

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Ist die Entwicklung der Programme für die Jazzrausch Bigband im Wesentlichen Ihr Job?

Die Konzepte entwerfe erst einmal ich, ja. Dabei orientiere ich mich mal an Räumen, mal an Themen oder Personen. Für eine Kirche in München habe ich zum Beispiel ein hybrides Kopfhörerkonzert entwickelt. Die Jazzrausch Bigband war auf den Emporen rund um das Publikum platziert, dieses hörte über drahtlose halboffene Kopfhörer die Bässe und die Perkussion, während die anderen Instrumente und die Orgel von aussen hinzukamen. Oder ein anderes Beispiel: Für die erwähnte Kesselhalle im Bergson Kunstkraftwerk habe ich «Bergson’s Rise» konzipiert, ein Konzert, bei dem das Publikum sich ganz viel in dem Riesenraum bewegt. Komponiert und arrangiert wird die Musik dann von Leonhard Kuhn, das Beschallungskonzept und Sounddesign wird erstellt von Josy Friebel, und das Licht- und Stagedesign kommt von Philip Foidl.

Wo verlaufen die Schnittstellen zwischen Leonhard Kuhn und Ihnen?

Ich lege ihm mein Konzept dar, und dann komponiert und arrangiert er die Musik ganz eigenständig. Ich rede ihm da nicht rein. Von ihm wandern dann die Kompositionen zurück in die Band, und wir überlegen gemeinsam, wie wir sie umsetzen können, immer in Zusammenarbeit mit besagten Licht- und Sounddesignern sowie visuellen Künstlerinnen und Künstlern.

Obwohl es sich bei Ihren Produktionen um komplexe Gesamtkunstwerke handelt, wirken sie nicht monumental und statisch, sondern sehr dynamisch. Wie schaffen Sie das?

Wir bemühen uns, die kreative Spannung zwischen Komposition und Improvisation aufrechtzuerhalten. Spontanität spielt bei uns eine zentrale Rolle. Keines unserer Stücke kommt ohne Soli aus. Ein grosses Ensemble muss zwar in bestimmten Passagen funktionieren wie eine komplexe Maschine, wo jedes Teil seine Aufgabe erfüllt, aber es braucht auch die Freiheit für die individuelle Entfaltung. Leonhard Kuhn bezeichnet die Passagen für die Soli, aber die sind nicht starr. Je nachdem kann man ihnen mehr oder weniger Raum geben. Wenn jemand gerade unglaublich abhebt, soll man ihn nicht bremsen.

“Wir haben etwa vierzig Programme in petto und spielen nie zweimal das gleiche Konzert. Deshalb knistert es immer.”

Sind Sie also eine Bigband aus lauter Individualisten?

Unbedingt! Auf keinen Fall wollen wir ein Orchester sein, in dem alle gleich angezogen sind und nur die Befehle von einem ausführen, sondern ein Team, das zusammenspielt, in dem aber auch Einzelleistungen gefragt sind.

Jazzrausch Bigband

Der Posaunist, Bandleader und Musikmanager Roman Sladek (*1989 in Roth bei Nürnberg) wuchs in Niederbayern auf. In München studierte er klassische Posaune, Jazz-Posaune sowie Kultur- und Musikmanagement. Im Jahr 2014 gründete er die Jazzrausch Bigband, die bisher zwölf Alben herausgebracht hat und rund hundert Konzerte pro Jahr gibt. Das Quintett Slatec ist eine Teilmenge der Jazzrausch Bigband, die mittlerweile aus 35 Musikerinnen und Musikern besteht. Ihre Homebase ist das Bergson Kunstkraftwerk in München, das Roman Sladek seit 2022 als Artistic Director leitet.

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Wie gross ist Ihr Repertoire?

Wir haben inzwischen etwa vierzig verschiedene Konzertprogramme und eine entsprechend gigantische Menge an Einzelstücken in petto. Die Zusammenstellungen wechseln immer wieder. Wir spielen eigentlich nie zweimal das gleiche Konzert. Deshalb knistert es immer. 

Haben Sie als Grossformation eine fest angestellte Crew, die Ihnen zudient?

Nein! Diese Arbeit haben wir unter uns aufgeteilt. Praktisch alle, die auf der Bühne stehen, haben über ihre Aufgabe als ausübende Musiker hinaus auch noch organisatorische Aufgaben. Sie kümmern sich beispielsweise ums Notenarchiv oder ums Merchandising. Wir haben auch keine Roadies dabei, die unser Equipment auf- und abbauen. Da packen wir alle an.

Und ich denke, man spürt das im Konzert. Welche Überlegungen stehen hinter diesem Konzept?

Nach meiner Überzeugung ist die ganze Musikindustrie pseudomystifiziert. Viele Tätigkeiten werden von Musikern abgegeben mit der Begründung: «Das liegt mir nicht.» Der eigentliche Grund ist aber Faulheit. Und das führt dazu, dass man immer mehr entmündigt wird, dass man immer abhängiger wird von anderen, von Leuten, die dann letztlich zwischen dem Künstler und dem Publikum stehen.

Lehnen Sie beispielsweise die Zusammenarbeit mit Agenturen grundsätzlich ab?

Nein, keineswegs. Aber es muss eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe sein. Man darf sich nicht fremdbestimmen lassen. Und es schadet keinem Musiker, wenn er weiss, was alles getan werden muss, bis man ein Ticket verkauft hat. Wir wollen ja von der Musik leben, deshalb sollten wir die wirtschaftlichen Mechanismen kennen, die das ermöglichen.

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Welche Bedeutung spielt die öffentliche Kulturförderung für Sie?

Eine eher geringe. Natürlich gibt es eine indirekte Förderung, die man gar nicht als solche wahrnimmt, beispielsweise, wenn man in Häusern auftritt, deren Infrastruktur durch staatliche Gelder finanziert wird. Aber was wir als Jazzrausch Bigband direkt erhalten, spielt sich im einstelligen Prozentbereich unseres Budgets ab.

Stört Sie das?

Es erfüllt mich eher mit Befriedigung. Mein Ziel ist es weder, möglichst komplexe Musik für möglichst wenige Leute zu machen, noch, möglichst simple Musik vor möglichst vielen Leuten zu spielen. Diese Konzepte kommen mir beide langweilig vor. Blosse Selbstbespieglung ist so billig wie reiner Kommerz.

Wie meinen Sie das?

Viel spannender ist doch die Frage: Wie kann ich mit komplexer Musik viele Menschen erreichen? Dazu muss ich mir Gedanken über die Vermittlung machen. Wenn ich zum Beispiel davon ausgehe, dass ich eine Bigband mit Spitzenmusikern haben will, denen ich eine anständige Gage bezahle, komme ich schnell zum Ergebnis, dass 160 verkaufte Tickets dazu nicht ausreichen. Es müssen 1200 sein. Dahin muss man kommen. Und da kommen nun seltsame Paradoxien der Kulturförderung ins Spiel. Damit ich bestimmte Gelder bekäme, müsste ich nachweisen, dass ich keine nennenswerte Publikumsmenge erreiche.

Mit welchen Gefühlen reisen Sie dieses Jahr nach St. Moritz?

Die Jazzrausch Bigband liebt das Festival da Jazz. Über die Jahre ist ein grosses Vertrauen gewachsen. Wir durften dort schon verschiedene Orte bespielen. Highlights sind für uns immer wieder die Konzerte in der Sunny Bar, wo wir auch den Anschluss zum einheimischen Publikum gefunden haben. Viele kommen zu uns und sagen: «Jetzt habe ich Sie schon zum fünften Mal hier gehört.» Und wir setzen alles daran, dass sie hinzufügen: «Und jedes Mal war es anders.»

Mit welcher Musik sind Sie eigentlich aufgewachsen?

Als Teenager sozialisiert worden bin ich schon hauptsächlich über meinen Vater mit Rock und Jazzrock, selber begeisterte ich mich für Metal, besonders in seinen technisch anspruchsvollen, schnellen Ausprägungen. Ich habe aber auch einen klassischen Hintergrund, ich hatte früh Klavierunterricht, noch bevor ich mich für die Posaune entschied, und war dann auch auf einem musischen Gymnasium. Jazz spielte ebenfalls schon damals eine Rolle. Die Schülerbands, die ich hatte, baute ich so allmählich von Metal- zu Blues-Rock-Jazz-Ensembles um. Mich hat alles fasziniert, was irgendwie komplex, ungewohnt und herausfordernd war.

erschienen in der NZZ am Sonntag vom 2. Juni 2024

Kommt der Name der Band also von diesem Club her?

Ja genau. Unsere erste, stark konzeptionell ausgerichtete Konzertreihe hiess «Jazzrausch», und dadurch wurden wir zur Jazzrausch Bigband. Ich wollte ein künstlerisches Tool haben, das einen festen Ort hat und grundsätzlich eine konstante Besetzung, dessen Programm sich aber immer wieder ändert. Der Klub war immer rappelvoll, wenn wir auftraten. Leider musste er nach etwa zwei Jahren aber schliessen, weil es Nachbarschaftsklagen wegen nächtlicher Ruhestörung gab. Das Lokal lag ja mitten in der Innenstadt. Wir sind dann weitergezogen in den Technoclub Harry Klein. Mir war es immer wichtig, eine feste Basis zu haben und nicht von Ort zu Ort zu tingeln.

“Unsere erste, stark konzeptionell ausgerichtete Konzertreihe hiess «Jazzrausch», und dadurch wurden wir zur Jazzrausch Bigband.”

Eine Bigband, die hauptsächlich auf akustischen Instrumenten spielt und Themen von Anton Bruckner und Gustav Mahler über Count Basie bis hin zu Filmmusik intoniert, in einem Technoclub: Wie kann das funktionieren?

Interessanterweise hat es von Anfang an funktioniert. Ich habe mir gedacht: Was in einem hippen Setting stattfindet, wird vielleicht auch inhaltlich als hip wahrgenommen. Ein Anknüpfungspunkt war sicher unser 2015 erschienenes Debütalbum «Prague Calling», das auch mit elektronischer Musik und technoiden Einflüssen spielte.

Sie sind also gewissermassen mit einem trojanischen Pferd in den Technoclub Harry Klein gekommen.

Wenn Sie so wollen! Die Verantwortlichen fanden unsere Idee zwar ungewöhnlich, waren aber bereit, sie auszuprobieren. «Wenn es nicht funktioniert, fliegt ihr halt wieder raus», haben sie gesagt; «aber wenn es klappt, können wir ausbauen.» Das war für uns eigentlich heilsam, weil wir wussten, dass wir von Anfang an alles geben mussten. Es ging gewissermassen um eine Kernfusion von Jazz und Techno, nicht nur um eine Tändelei, ein So-Tun-als-ob.

NZZ am Sonntag: Roman Sladek, die Jazzrausch Bigband hat sich in den letzten Jahren zu einer international erfolgreichen Grossformation entwickelt, die jährlich rund 100 Konzerte absolviert. Wie hat alles begonnen?

Roman Sladek: Ich habe die Band zusammen mit befreundeten Musikerinnen und Musikern 2014 gegründet. Damals studierten wir an der Hochschule für Musik und Theater in München; meine Fächer waren klassische und Jazz-Posaune sowie später Kultur- und Musikmanagement. Mir schwebte eine Musik vor, mit der ich vor allem Gleichaltrige erreichen wollte, und dafür eigneten sich die etablierten Jazz-Locations weniger. Deshalb spielten wir als Hausband in einem winzigen Klub namens «Rausch & Töchter». In den passten inklusive Band vielleicht sechzig Leute rein.

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